Roboter im Betonbau

Roboter im Betonbau

Revolution mit Bits & Beton

In einer alten Fabrikhalle in Norderstedt bei Hamburg baut ein Startup mit Kuka-Robotern an der digitalen Zukunft des Städte- und Infrastrukturbaus. Ein Team aus Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen entwickelt dabei nicht nur die Herstellung von Betonbauteilen weiter, sondern auch die dazugehörigen Planungs- und Ausführungsprozesse.

Der Kuka-Roboter im Innersten der Anlage von Aeditive trägt mit gleichmäßigen Bewegungen aus einer großen Düse Spritzbeton auf den Gitterstahlkorb auf. (Bild: Kuka AG)

Es ist so weit. Die beiden Techniker haben alle Leitungen angeschlossen, die Rohre, Verkabelungen und Schnittstellen sind gecheckt. In der Mitte des Raumes steht auf einer Stahlpalette ein L-förmiger Gitterstahlkorb. Die Maschinen sind startklar. Dann verlassen alle den Raum und schließen die Tür mit dem großen Glasfenster hinter sich. Daumen hoch in Richtung Bediener, der an einem Touchpanel das Startsignal gibt. Sekunden später erfüllt das Brummen und Klackern der Betonmischanlage die Halle. Ein Kompressor erzeugt Druckluft und schon nach wenigen Minuten richtet sich im Bauraum die Maschine wie ein zum Leben erweckter Dinosaurier auf. Die Szene spielt im schleswig-holsteinischen Norderstedt, einem Vorort von Hamburg, und nicht im Jurassic Park. Der leuchtend weiße Kuka-Roboter im Innersten der Anlage ist alles andere als furchterregend und trägt mit gleichmäßigen Bewegungen aus einer großen Düse Spritzbeton auf den Gitterstahlkorb auf. Schicht für Schicht wächst ein feucht glänzendes, blau-graues Gebilde – noch mit Wellenstruktur und rauer Oberfläche, die dann bald von einem zweiten Roboter mit einem großen spachtelartigen Werkzeug glatt und in Form gestrichen wird.

Schicht für Schicht wächst ein Gebilde mit Wellenstruktur, die von einem zweiten Roboter mit einem großen spachtelartigen Werkzeug glatt und in Form gestrichen wird. (Bild: Kuka AG)

Spritzbeton aus dem 3D-Drucker

„Der Roboter mit der Spritzbetondüse ist der Star unserer Anlage, das Team nennt ihn aufgrund seiner Ausmaße voller Respekt auch T-Rex“, sagt Hendrik Lindemann. Er drucke gerade den Prototypen einer Brückenkappe, wie sie z.B. für eine Betonbrücke gebraucht würde. Aber auch Wände oder andere Elemente habe der Roboter im Repertoire – dass im 3D-Druckverfahren kein Teil aus der Produktion wie das andere sein müsse, mache die besondere Wirtschaftlichkeit des Verfahrens aus. Lindemann ist studierter Architekt und Experte für digitale Fertigung und er ist mit Roman Gerbers, Niklas Nolte und Alexander Türk Co-Founder von Aeditive, dem Startup, das hier in der alten Fabrikhalle bei Hamburg an der digitalen Zukunft des Betonbaus arbeitet. Der Firmenname Aeditive, erklärt Lindemann, sei ein Kunstwort, das sich ableite von Additive Fertigung und Aedificium, lateinisch für Bauwerk. Additiv meint im 3D-Druck, dass das Material Schicht für Schicht aufgetragen wird und so dreidimensionale Gegenstände entstehen. Das funktioniert mit Kunststoffen und Metall genauso gut wie in diesem Fall mit Beton. „3D-Druck mit Spritzbeton gab es vorher in größerem Maßstab noch nicht. Die sonst gängigen Verfahren beruhen überwiegend auf Extrusion – also dem Ablegen von schmalen Frischbetonsträngen, aus denen dann Bauteile aufgebaut werden. Aus lokalen Rohstoffen gemischter und aus jedem beliebigen Winkel aufzutragender Spritzbeton eröffnet uns demgegenüber viele Vorteile. Z.B. die Integration der Stahlbewehrung im laufenden Prozess“, erklärt Aeditive-CEO Türk. Das junge Team hat dazu unterschiedliche Ingenieursdisziplinen zusammengeführt: Architektur (Lindemann), Maschinenbau und Automatisierung (Gerbers) sowie Bauingenieurwesen und Materialkunde (Nolte). Fürs Unternehmerische ist Türk zuständig, Mathematiker und ehemaliger Strategieberater. Das Ziel des robotischen Verfahrens, das die Vier entwickelt haben, ist ambitioniert: die Digitalisierung der Bauindustrie weiter voranzutreiben, dem wachsenden Fachkräftemangel der Branche entgegenzuwirken, eine höhere Produktivität und aufgrund des angepassten Energie- und Rohstoffeinsatz mehr Nachhaltigkeit beim Bauen zu erreichen, „damit Menschen wohnen können, das Klima geschont wird und die Arbeitsumgebung im Betonbau sicherer und sauberer wird“.

Der Concrete Aeditor umfasst Produktions- und Material-Container sowie die Betonmischeinheit mitsamt der Wasser- und Energieversorgung und einer eigenen softwaregestützten Steuerung. (Bild: Kuka AG)

Zwei Roboter, ein Ziel: das perfekte Betonfertigteil

Und genau darum geht es in der Norderstedter Demonstrationsanlage des Concrete Aeditor genannten 3D-Druckers. Die vom ersten Roboter geführte, eigenentwickelte Spritzbetondüse arbeitet Hand in Hand – oder besser: Greifer in Greifer – mit einem zweiten Roboter, der das parallele Rüsten des Baukörpers übernimmt, z.B. mit dem Einsetzen von Bewehrungselementen oder Leerrohren. Aber auch Aussparungen für Fenster oder Luken kann der Roboter einrichten. Er besitzt ein integriertes Werkzeugwechselsystem, das auch das Glätten und Polieren des noch frischen und formbaren Betons übernimmt. „Wir sind mit unserem neuen automatisierten Verfahren in der Lage, sogar tragende Betonteile im 3D-Druck zu produzieren“, sagt Lindemann. „Der Concrete Aeditor umfasst Produktions- und Material-Container sowie die Betonmischeinheit mitsamt der Wasser- und Energieversorgung und einer eigenen software-gestützten Steuerung. „So kann unsere Anlage immer nah bei ihren Bauaufträgen in Fertigteilwerken oder auf Baustellen sein“, unterstreicht Marktstratege Türk. Den Herzschlag der sowohl stationär wie auch mobil einsetzbaren 3D-Betondruckfertigung bestimmen zwei sechsachsige Kuka-Roboter aus der Serie KR Quantec ultra. Mit einer maximalen Traglast von 300kg und einer Reichweite bis 3.900mm gehören sie zu den stärksten und kompaktesten Industrierobotern. Als Foundry-Varianten sind sie besonders geeignet für Bereiche mit hohem Verschmutzungsgrad, hoher Feuchtigkeit und hohen Temperaturen. „Genau das, was wir hier im Concrete Aeditor im Umgang mit Spritzbeton brauchen“, stellt Gerbers fest. Die Maschinen seien komplett eingehaust, arbeiteten autonom und ließen so einen sicheren Produktionsraum für die überwiegend sehr schweren Bauteile entstehen. Die kompakte Anlage ist ausgerichtet auf verbaufertige Betonteile in Größen bis 11x4x4m, inklusive Bewehrung und Einbauteilen. Wie die ersten Ergebnisse in der Zusammenarbeit mit Pilotkunden zeigten, ergäbe sich für potenzielle Nutzer eine ganze Reihe attraktiver Vorteile: „Der hohe Automatisierungsgrad steigert die Produktivität der heutigen Teams. Das Arbeiten ohne Verschalungen erlaubt darüber hinaus flexible Anpassungen der Produktionsplanung. Hinzu kommt, dass der Wegfall von Schalungsmüll und ein geringerer Betonverbrauch helfen, das Klima zu schonen“, zählt Türk auf. Auch bringe der digitale Fertigungsprozess eine höhere Qualität und eine bessere Planbarkeit aufgrund von präziser Simulationsfähigkeit mit sich. Betriebswirtschaftlich interessant für künftige Kunden des Startups könne auch das Pay-per-Use-Geschäftsmodell sein. Das würde den Investitionsbedarf nutzerseitig spürbar senken.

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KUKA AG
www.kuka-ag.de

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