Trendumfrage Mensch/Roboter-Kollaboration
Eine ernstzunehmende Option
In einer Trendumfrage hat ROBOTIK UND PRODUKTION dem Thema MRK auf den Zahn gefühlt und Experten zu Produktivität, neuen Technologien und einer möglichen flächendeckenden Umsetzung befragt. Es antworteten Peter Pühringer, Division Manager bei Stäubli Robotics, Dr. Albrecht Hoene, Director Human Robot Collaboration bei Kuka, Nikolai Ensslen, CEO von Synapticon, und Dr. Simon Mayer, Professor für Interaction- and Communication-based Systems an der Universität St. Gallen.
ROBOTIK UND PRODUKTION: Wie lässt sich das Dilemma von sinkenden Taktzeiten und Produktivität bei MRK-Applikationen lösen?
Peter Pühringer, Stäubli: Wir sehen hier kein Dilemma, denn MRK-Lösungen treten nicht in Wettbewerb zur Vollautomation. MRK-Lösungen sind dort gefragt, wo sich aus der Interaktion von Mensch und Roboter Vorteile ergeben. MRK muss aus Sicht von Stäubli immer produktiver sein als z.B. eine rein manuelle Lösung. Aus Produktivitätsgründen haben wir auch unsere Standardroboter für MRK-Einsätze qualifiziert und keine speziellen Assistenzroboter auf den Markt gebracht.
Dr. Albrecht Hoene, Kuka: Damit MRK-Anwendungen wirtschaftlich profitabel sind, muss es das Ziel sein, den Roboter in seinen Bewegungen so anzupassen, dass er keine langen Wege zurücklegen muss. Ein Cobot ist nicht darauf ausgelegt, möglichst schnell von A nach B zu fahren. Seine Stärke liegt in der Sensitivität. Denn damit kann er Aufgaben übernehmen, die ein Industrieroboter nicht ausführen kann. Und bei solchen Aufgaben steht die Geschwindigkeit nicht im Mittelpunkt.
Nikolai Ensslen, Synapticon: Der Vergleich zu hochautomatisierten Umgebungen mit Industrierobotern, die sich ständig wiederholende Aufgaben mit extremer Geschwindigkeit bewältigen, hinkt. MRK-Applikationen sehe ich in Zukunft vor allem dort, wo bis dato überwiegend manuell gearbeitet wird. Schneller Takt bei hoher Stückzahl, das ist nicht unbedingt das Thema. Das Potential von MRK steckt viel mehr in der individualisierten Massenproduktion.
Dr. Simon Mayer, Universität St. Gallen: MRK erlaubt es uns, Prozesse zu verbessern, die nur zum Teil aus automatisierbaren Tätigkeiten bestehen. Die Produktivität kann hier dadurch gesteigert werden, dass wir weiter darauf hinarbeiten, Robotern umfassenderes Kontextverständnis beizubringen – dadurch können sie ihre menschlichen Mitarbeiter besser unterstützen und vor etwaigen Gefahren bewahren: So sollten z.B. bereits während der Prozessplanung Arbeitsschritte hinsichtlich ihrer Arbeitssicherheitskonsequenzen bewertet und adaptiv auf die beteiligten Menschen oder Maschinen aufgeteilt werden.
ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche neuen Technologien werden die Interaktion und Zusammenarbeit von Mensch und Roboter unterstützen und vorantreiben?
Ensslen: Im Kern erwarte ich in zwei Bereichen vielversprechende Entwicklungen. Die Absichtserkennung, auch Movement Intention Detection genannt, ist sehr spannend. Hier geht es darum, dass der Roboter vorab die Absicht des Menschen erkennt und ihn dabei entsprechend unterstützt. Die jüngsten Entwicklungen bei künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen sind hier Treiber. Außerdem erwarte ich in Sachen Safety wichtige Schritte, die MRK pushen werden. Safe Motion, z.B. auf Basis von Sensoren und künstlichen Häuten, sowie die Integration von Kameratechnik für hohe Arbeitssicherheit können MRK den Weg ebnen.
Hoene: In Zukunft wird es immer wichtiger, den Aufenthaltsort des Menschen innerhalb des gemeinsamen Arbeitsraums mit dem Roboter eindeutig bestimmen zu können. Dazu werden Sensoren eingesetzt. Vorstellbar sind Trittmatten, Scanner oder Kameratechnik. Auch im Bereich der Radartechnik gibt es erste Entwicklungen.
Pühringer: Grundlegend werden die Themen Programmierung, Sicherheitstechnik sowie Vereinfachung oder Standardisierungen im Bereich der Risikobewertungen sein. Als Roboterhersteller können wir vorrangig die ersten beiden Punkte beeinflussen.
Mayer: Bezüglich des Kontextverständnis müssen wir MRK-Systeme in die Lage versetzen, ihre Mitarbeiter – Menschen sowie Maschinen – und deren Fähigkeiten, Präferenzen sowie Arbeitsschritte im Prozess zu erfassen. Hierfür funktioniert optisches Tracking gut, jedoch müssen die erfassten Daten auf nachvollziehbare Weise mit der Prozessplanung auf MES- und ERP-Ebene zusammengeführt werden, z.B. mithilfe semantischer Technologien. Darauf aufbauend beschäftigt sich meine Forschungsgruppe mit flexibler Ablaufplanung, die sich dynamisch auf Kundenwünsche und Kontextbedingungen anpassen kann. Außerdem müssen wir die menschlichen Mitarbeiter mit ins Boot holen: mit Schnittstellen, die Tätigkeiten von Maschinen transparent machen – hierfür sehe ich großes Potential bei Mixed-Reality-Systemen, insbesondere mithilfe von Spatial Audio.