Trendumfrage zur aktuellen Mensch/Roboter-Kollaboration

Trendumfrage zur aktuellen Mensch/Roboter-Kollaboration

Sicher oder nicht?

In der aktuellen Trendumfrage hat ROBOTIK UND PRODUKTION Experten zum Thema MRK in der Anwendung befragt. Dabei ging es um die Sicherheitsabnahme bei MRK-Anwendungen, die damit einhergehenden Herausforderungen sowie um Tools und Produkte, die die Sicherheitsabnahme vereinfachen können. Es antworteten Carsten Busch, Product Manager Cobots bei Denso Robotics, Armin Österle, Team Leader Customer & Sales Support bei Fanuc Deutschland, Michael Finke, Produktmanager Robotik bei Mitsubishi Electric, Dirk Thamm, Produktmanager bei TQ-Robotics, sowie Andrea Alboni, General Manager Western Europe bei Universal Robots.

ROBOTIK UND PRODUKTION: MRK-Anwendungen werden oft als einfacher beschrieben, als sie in der spezifischen Umsetzung wirklich sind. Wird die schutzzaunlose Robotik Stück für Stück einfacher oder bricht die Sicherheitsabnahme dem großen MRK-Traum doch letztendlich das Genick?

Carsten Busch, Denso Robotics: Das kommt darauf an, was genau mit einfach gemeint ist. Ist es die einfache Programmerstellung in einer einfachen Applikation? In diesem Fall bietet ein Cobot sicherlich schon heute Vorteile, allerdings nur, wenn die Applikation nicht doch komplexer wird. Oder geht es darum, den Schutzzaun zu sparen? Hier erweist es sich oft, dass der Aufwand einer schutzzaunlosen Risikobewertung und Anlagen-CE höher ist, als die Risikoanalyse einer klassische Schutzzaun- oder Sicherheitssensorik-basierten Anlage. Auch gilt zu betrachten, inwieweit eine Kooperation oder sogar Kollaboration von Mensch und Cobot erfolgen soll. Letztlich gilt auch, dass je höher die Massenträgheitsmomente wirken und je höher die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sind, das Risiko steigt und entsprechend die Risikobeurteilung aufwendiger wird.

Carsten Busch (Bild: Denso Robotics Europe / Denso Europe B.V.)

Armin Österle, Fanuc Deutschland: Die schutzzaunlose Robotik wird tatsächlich einfacher. Das hat technologische Gründe, aber momentan ist eben auch zu sehen, dass die Lernkurve ansteigt. Denn es wird an vielen Stellen gleichzeitig daran gearbeitet und aus Anwenderkreisen kommt entsprechende Nachfrage. Ich gehe heute an die Konzeption einer Anlage anders heran als noch vor wenigen Jahren, denn a) hat sich die Technikseite verändert und b) ist die kollaborative Robotik auch im Engineering angekommen. Vieles hat man sich zu Beginn nicht getraut, niemand hatte Erfahrung in der Validierung entsprechender Zellen oder Arbeitsplätzen. Und: Nein, die Sicherheitsabnahme wird die MRK nicht verhindern. Wir werden Routinen entwickeln, in die unsere Erfahrungen und die der Anwender einfließen.

Michael Finke, Mitsubishi Electric: Die schutzzaunlose Robotik mit einem Stopp des Systems bei Näherung mit erhöhtem Risiko sehe ich weiterhin als einfacher realisierbar und effizienter als eine direkte MRK-Anwendung, bei der Hand in Hand gearbeitet werden soll. Die Schutzfunktionen der Industrieroboter sind bereits viele Jahre definiert und durch gängige Risikobeurteilungen etabliert. Die gleichen Funktionen werden bei Cobots wie unserem Melfa Assista durch die Sensitivität bei Berührungen ergänzt. Ich denke, dass uns der Trend der einfacheren Integration weiter begleiten wird.

Dirk Thamm,
TQ-Robotics (Bild: TQ-Systems GmbH)

Dirk Thamm, TQ-Robotics: Unabhängig von Sicherheitsabnahmen zeigt sich, dass sich viele Anwendungen nicht für eine MRK-Umsetzung eignen. Der Grund: Die geforderten Taktzeiten sowie der gewünschte Output lassen sich nur mit hohen Fertigungsgeschwindigkeiten erreichen. Um aber die Arbeiten von Mensch und Maschine in einem sicheren Miteinander zu koordinieren, bedarf es sehr kontrollierter und zeitlich ruhigerer Abläufe, was wiederum zu geringerem Output führt. Insbesondere dann, wenn der Roboter mit spitzen Schrauben, scharfkantigen Bauteilen sowie heißen Elementen arbeitet. Bei einer eventuellen Kollision mit dem Menschen ist hier nicht der Roboter das Problem, sondern das Bauelement, mit und an dem der Roboter arbeitet.

Andrea Alboni, Universal Robots: Als die ersten Cobots auf den Markt kamen, galten für sie dieselben Vorgaben wie für große, traditionelle Roboter. Seit 2016 gibt es die ISO TS15066, die sich ausschließlich mit MRK beschäftigt. Wir sind also schon einen großen Schritt hin zu mehr Praktikabilität gekommen. Insgesamt muss aber natürlich immer die gesamte Applikation betrachtet werden. Welches Bauteil oder Produkt bewegt der Roboter? Wie sieht die Arbeitsumgebung aus? Standards für sichere Anwendungen sind daher aus unserer Sicht essentiell. Mit unseren einfach zu integrierenden Cobots sind die Vorgaben aber umsetzbar und MRK ist deshalb ganz klar ein Konzept mit Zukunft. Jedes Jahr werden mehr MRK-Anwendungen erfolgreich, sicher und mit mehr Routine realisiert – Tendenz steigend.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wo liegen hier aktuell noch die größten Herausforderungen?

Thamm, TQ-Robotics: Nicht immer sind zu strenge Normen und enge Gesetzesvorgaben bezüglich des MRK-Einsatzes das Hindernis für erfolgreiche Prozessabläufe. Gelegentlich fehlt seitens der Prozessanalytiker das Verständnis und das Problembewusstsein schutzzaunloser MRK, denn nicht alles, was technisch denkbar ist, ist auch wirklich sinnvoll und zielführend. Der bessere Ansatz ist es, die Prozesse detailliert zu betrachten und dann zu definieren, wann und bei welchen Tätigkeiten der Roboter, der Mensch oder MRK den größten Nutzen erzielt.

Finke, Mitsubishi Electric: Die größte Herausforderung liegt bei den Verantwortlichkeiten. Ein Maschinenbauer kann nur Risiken abschätzen, die von der Applikation und der ausgelieferten Funktion ausgehen. Jede Gefahr wird im Prozess betrachtet und Risiken durch bauliche oder technische Hilfsmittel reduziert. Eine frei programmierbare und undefinierte Maschine wie ein Cobot, der laufend an die Bedürfnisse angepasst wird, stimmt nicht mit diesem Sicherheitsgedanken überein. Ich sehe hier zwei Möglichkeiten für einen einfacheren und flexibleren Robotermarkt der Zukunft. Entweder werden die Normen weiter aufgeweicht und die Sicherheitsbetrachtung vereinfacht oder wir legen Verantwortung für passende und angemessene Sicherheitsfunktionalitäten in die Hand von KI bzw. Sensorik.

Alboni, Universal Robots: Vielerorts herrschen noch Vorbehalte, die sich tatsächlich an der traditionellen Robotik orientieren. Statt teuer, groß, schwer, laut, komplex und wartungsintensiv sind Cobots jedoch das genaue Gegenteil. Sie unterstützen den Menschen sicher und einfach bei anstrengenden und monotonen Tätigkeiten und helfen bei erschwinglichen Kosten dabei, Produktionen flexibler aufzustellen. Wir sind also noch stärker gefordert, hier Aufklärungsarbeit zu leisten und aufzuzeigen, wie Betriebe von MRK profitieren können.

Armin Österle,
Fanuc Deutschland (Bild: Fanuc Deutschland GmbH)

Österle, Fanuc Deutschland: Wir sollten die Sicherheitsbestimmungen durchleuchten, denn der Stand der Technik ändert sich gerade im Bereich Robotik stark. Die Sensorik macht große Fortschritte. Eine Herausforderung wird es sein, mittel- oder langfristig so weit zu kommen, dass Kollisionen ganz vermieden werden. Die Frage ist dann: Muss die gesamte MRK-Sensorik im Roboter sitzen oder gibt es nicht auch andere Wege? Dazu werden wir auch das gesamte Design einer Zelle schon beim Engineering bis hin zur Materialauswahl noch stärker einbeziehen müssen als bisher. Noch sind wir zu sehr auf die Funktion des Roboters fixiert; da haben wir Nachholbedarf.

Busch, Denso Robotics: Bislang müssen bei jeder Risikobewertung im Rahmen der Anlagen-CE Kraft- und Druckmessungen zur Ermittlung der biomechanischen Belastung durchgeführt werden, und zwar für jede Applikation unabhängig, ob immer der gleiche Roboter eingesetzt wird oder unterschiedliche Typen. Berechnungen der Kraft und Druckmessungen sind noch nicht zulässig, sollen aber in naher Zukunft möglich sein.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Tools und Produkte aus Ihrem Portfolio können die Sicherheitsabnahme von MRK-Applikationen vereinfachen?

Finke, Mitsubishi Electric: Wir bieten für unsere Roboter einen Safety Guide an. Ebenso stehen für die einzelnen Sicherheitsfunktionen, die bei der Reduzierung des Risikos genutzt werden können, detaillierte Erläuterungen, eine Sistema-Datenbank und Berechnungsbeispiele zur Verfügung. Vereinfacht wird die Abnahme auch z.B. durch die Visualisierung von virtuellen Bereichsbegrenzungen innerhalb der Programmiersoftware RT-ToolBox bzw. RT-VisualBox.

Michael Finke,
Mitsubishi Electric (Bild: Mitsubishi Electric Europe B.V.)

Alboni, Universal Robots: Bei der Risikobeurteilung muss immer die Applikation als Ganzes gesehen werden. Wir haben unsere Cobots der E-Series daher mit einer Vielzahl an Sicherheitsfunktionen ausgestattet, wie z.B. Kraft- und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Kunden, indem wir mit unserem Online-Showroom UR+ eine Plattform für zertifiziertes Zubehör, Endeffektoren und Softwarelösungen für unsere Cobots bieten.

Thamm, TQ-Robotics: Bei TQ realisieren wir die meisten Anwendungen in trennenden Schutzeinrichtungen und verwenden die MRK-Funktionen des Franka Emika Robots bei der Handführung des Robotersystems, bei der Programmierung und im Störfall. Durch diesen gezielten Einsatz können wir schlanke Roboterprogramme realisieren und müssen nicht alle denkbaren Störfälle und die daraus folgenden Prozessabläufe programmieren. Wir sprechen daher von „MRK im Error Handling.

Busch, Denso Robotics: Für die Koexistenz bietet Denso die Sicherheitsfunktion Safety Motion an. Hier werden bei dem Industrieroboter die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen in verschiedenen Bereichen via Sensorik sicher bis zum Stillstand reduziert. Kommt der Mensch nahe, werden die Geschwindigkeiten in PLe Cat3 sicher reduziert bis zum Stillstand. Für die Kooperation und die Kollaboration bietet der kollaborative Roboter Cobotta gute Voraussetzung, da neben dem inhärent sichereren Design, der geringen bewegten Masse auch die funktionale Sicherheit in PLd Cat 3 gewährleistet ist. Für größere Arbeitsräume, Traglasten und Handhabungsgeschwindigkeiten bietet sich die Kombination aus AirSkin-Cover mit Safety Motion als sichere Lösung an.

Andrea Alboni,
Universal Robots (Bild: Universal Robots A/S)

Österle, Fanuc Deutschland: Wir haben bei Fanuc seit vielen Jahren die integrierte Software Dual Check Safety im Einsatz, mit der sich Sicherheitszonen im Bewegungsraum eines Roboters definieren lassen. Inzwischen gibt es eine Reihe von Softwaretools, die das Thema Sicherheit abdecken, z.B. DCS Joint oder die kartesische Positionskontrolle. Unser neuer kollaborativer Roboter, der CRX-10iA, ist mit der Anordnung der Achsen so konzipiert, dass keine Quetschungen durch die Mechanik vorkommen können. Für einen Leitfaden erfassen wir regelmäßig Daten zu bestimmten, standardisierten Applikationen, die wir Kunden auch zur Verfügung stellen. (fiz) 

Tedo Verlag GmbH
robotik-produktion.de

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