Kolumne von Michael Lind
Die Mühen der Ebenen
Die Fußball-EM ist definitiv vorbei. Die Covid-19-Seuche ist es auch – zumindest für Hobby-Virologen, egomanische Feierbiester, Partyjunkies und Urlaubssüchtige. Sie sollten Ihre Zeit genießen. Nicht für alle sieht die berufliche Zukunft gleichermaßen rosig aus.
In seinem Gedicht ‚Wahrnehmung‘ schreibt 1949 der Dramatiker Bertold Brecht „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen“. Es war nach der Befreiung vom Hitler-Regime seine Vorahnung auf das Kommende. Rückblickend weiß man, dass diese Zeiten in jedweder Hinsicht teilweise grundlegende Veränderungen mit sich gebracht haben und leider auch weniger Gewinner als Verlierer.
Vor gravierenden Umwälzungen stehen aktuell die energieintensiven Industrien, ganz gleich ob Chemie, Stahl, Aluminium, Papier und so weiter. Treiber sind vor allem der nahezu unumkehrbare globale Klimawandel, die rapide zur Neige gehenden Vorkommen an fossilen Energieträgern und – daraus resultierend – die Forderung nach einer drastischen Reduzierung des sogenannten Footprints an CO2 und Stickoxiden. Konkret für Automobilbauer heißt das: weg von traditionellen Verbrennermotoren, hin zu nachhaltig klimaschonenden Antrieben auf Basis erneuerbarer Energien. Das haben die deutschen Autobauer endlich auch begriffen – aber erst, nachdem sie in Sachen E-Mobilität von ihren Wettbewerbern aus den USA, aus Frankreich und Fernost überholt worden und ihnen all die schönen, aber unzulässigen Abschalteinrichtungen um die Ohren geflogen waren und die Erkenntnis gereift war, dass sie ihre Lobbyisten in der Politik umsonst geschmiert hatten.
Geht es nach dem Willen der EU, dann werden ab dem Jahre 2035 nur noch mit Elektroenergie, mit Wasser-, Bio- oder Elektrokraftstoffen (E-Fuels) angetriebene Fahrzeuge zugelassen. Diese Transformation auf neue Technologien kostet viel Geld. Geld, das nach all den Strafzahlungen in Folge des Abgas-Skandals und nach den Corona-bedingten Umsatzeinbrüchen der zurückliegenden Monate knapp ist. Da überrascht es nicht, dass Automobilbauer das ultimative Killer-As aus dem Ärmel ziehen: Kosten sparen durch Arbeitsplatzabbau. Zur Disposition stehen bis 2025 bei BMW etwa 6.000 Stellen, bei Daimler ist die Rede von wenigstens 15.000 Arbeitsplätzen (4.000 davon allein in Untertürkheim), etwa 5.000 sind es in den deutschen Volkswagen-Werken, jeweils 9.000 bei den VW-Töchtern Audi und MAN. Einzig für Porsche scheint Personalabbau (noch) kein Thema.
Und die Zulieferer der Automobilbauer? Bosch will sich an seinen deutschen Produktionsstandorten vage von „mehreren Tausend“ Beschäftigten trennen. Verschiedene Medienrecherchen sprechen von mehr als 3.000. Bei Continental werden Zahlen zwischen 3.000 und 13.000 kolportiert. Mahle will in Produktion und Entwicklung 2.000 Arbeitsplätze abbauen, Schaeffler etwa 4.400. Andere Zulieferer wie Hella oder Knorr-Bremse halten sich mit derartigen Hiobs-Botschaften zurück, wobei die Hella-Erben ihr Unternehmen lieber heute als morgen verkaufen würden.
Natürlich soll allerorten der Arbeitsplatzabbau so geräuschlos wie möglich erfolgen, auch gerne beschönigend als ’sozial verträglich‘ umschrieben. Wie sowas geht, ist seit Jahrzehnten vielfach eingeübt: Auf der Streichliste ganz oben stehen Zeit- und Leiharbeiter, dann folgen Mitarbeiter im Vorruhestandsalter, schließlich jüngere Mitarbeiter und Alleinstehende in Abhängigkeit von ihrer Betriebszugehörigkeit.
Die Ifo-Studie ‚Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland‘ vom Mai dieses Jahres geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030 etwa 215.000 Jobs in der Automobilindustrie wegfallen werden. Nun hängen bekanntermaßen an jedem einzelnen Arbeitsplatz dort rein statistisch direkt vier (und indirekt bis zu zehn) weitere Jobs in anderen Branchen, angefangen von der Grundstoffindustrie über Maschinen- und Anlagenbauer, Unternehmen der Metall- und der Elektroindustrie, ihre Zulieferer und Fertigungsdienstleister, bis hin zu Catering- und Security-Services und so weiter. Für sie und ihre Mitarbeiter brechen unsichere Zeiten an, mit großen Veränderungen, und leider auch mit mehr Verlierern als Gewinnern. Das sind die bereits erwähnten Mühen der Ebenen, die bewältigt werden wollen.
Doch es gibt auch positive Nachrichten: Tesla z.B. baut eine Batteriezellenfertigung in Grünheide auf, der Volkswagen-Konzern tut gleiches in Salzgitter und an weiteren Standorten in Europa. In Erfurt soll 2022 ein Fertigungswerk des chinesischen Konzerns CATL die Produktion von Batteriezellen aufnehmen, die unter anderem für BMW bestimmt sind. Anbieter wie ACC, Farasis, Svolt und Co. wollen ebenfalls im nächsten Jahr starten.
Das alles sind natürlich Projekte, bei denen sich die einheimische Roboter- und Automatisierungsbranche bestens einbringen kann. Die erste vollständig roboterautomatisierte Produktionslinie für Batteriezellen habe ich übrigens bereits vor gut zehn Jahren bei Reis Robotics in Obernburg gesehen. Bezeichnend, dass der Kunde ein chinesisches Unternehmen war… (mli)