Kolumne Robotik, Recht, Risiko

Heute: Risikobeurteilung oder Gefährdungsbeurteilung?

Wenige rechtliche Begriffe werden so oft durcheinander geworfen wie die Risikobeurteilung und die Gefährdungsbeurteilung. Das gilt leider auch im Bereich der Robotik, weswegen ich Sie nochmals dazu bei der Hand nehmen und durch die Rechtslage führen möchte.

Prof. Dr. Klindt ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Noerr. Er ist Mitglied der AG Recht in der Plattform Industrie 4.0 und leitet dort die UAG Produkthaftung. (Bild: Noerr LLP)

Prof. Dr. Klindt ist Rechtsanwalt und
Partner der Kanzlei Noerr. Er ist Mitglied der AG Recht in der Plattform Industrie 4.0 und leitet dort die UAG Produkthaftung. (Bild: Noerr LLP)

Die Risikobeurteilung ist ein Rechtsbegriff aus der europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Die Rechtsvorschrift wendet sich an die fertigende Industrie, also z.B. an Roboterhersteller. Dort wird in Anhang I die Risikobeurteilung als iterativer, entwicklungsbegleitender Prozess beschrieben, um Gesundheitsgefahren im späteren Maschinenansatz konstruktiv zu reduzieren. Bereits im technischen Design also soll möglichst viel für spätere Verwendersicherheit getan werden. Und die Risikobeurteilung ist der methodische Weg, die R&D-Entscheidungen zu finden, die dafür relevant sind. Das gilt auch für die Entwicklung uneingehauster Robotiksysteme mit sensorischer Näherungsüberwachung. Das EU-Maschinenrecht kennt nämlich einen zentralen Unterschied zwischen vollständigen und unvollständigen Maschinen: Erstere laufen klassisch in Vorgaben wie CE-Kennzeichnung, technische Dokumentation inklusive niedergeschriebener Risikobeurteilung und Konformitätserklärung. Unvollständige Maschinen sind dagegen fast eine Maschine, können aber für sich keine Funktion erfüllen. Sie bedürfen also noch weiterer Maschinen oder Ausrüstungen, um eine voll funktionsfähige Maschine im Rechtssinne zu sein. Trotzdem soll man ein solches ingenieurtechnisches Torso verkaufen dürfen, nur eben noch ohne CE-Kennzeichnung, mit einer Einbauerklärung und einer Montageanleitung. Die Risikobeurteilung kann denklogisch noch nicht abgeschlossen sein, weil der R&D-Prozess ja noch nicht abgeschlossen ist. Immerhin aber kann der Hersteller angeben, bis zu welchem Punkt er im technischen Design ein Risiko schon beurteilt hat – oder eben nicht. In jedem Fall ist die Risikobeurteilung also eine ingenieurtechnische Auseinandersetzung mit den von einer Maschine ausgehenden Gefahren; sie ist auch ein echtes Dokument, das in die technische Dokumentation gehört und dort zehn Jahre lang von den Marktüberwachungsbehörden eingesehen werden darf. Der Kunde dagegen hat nur dann einen Anspruch auf Übergabe der Risikobeurteilung, wenn im Kaufvertrag eine entsprechende Klausel steht. Insbesondere im Fall eines schweren Arbeitsunfalls fragen die ermittelnden Behörden als erstes um eine Kopie der Risikobeurteilung, weil sie dort die vorhandene oder fehlende Auseinandersetzung mit dem unfallverursachenden Maschinenteil erwarten. Anwaltlich ist der Inhalt oft ernüchternd …

Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsbeurteilung hat dagegen mit der herstellenden Industrie nichts zu tun. Der Begriff entstammt § 5 Arbeitsschutzgesetz und § 3 Betriebssicherheitsverordnung, kommt also aus der Arbeitssicherheit und wendet sich rechtlich an den Maschinenbetreiber als Arbeitgeber. § 5 Abs. 1 ArbSchG sagt eindeutig: „Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“ Und genau so eindeutig ergänzt § 3 BetrSichV: „Der Arbeitgeber hat vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. Das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung am Arbeitsmittel entbindet nicht von der Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung“. Letzteres wird oft verkannt. Denn die Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz wiederholt ja nicht sinnlos die Risikobeurteilung in der Maschine. Sondern sie beurteilt alle Gefährdungen. Bei schweren Arbeitsunfällen lassen sich die ermittelnden Behörden daher auch sofort vom arbeitgebenden Betrieb die Gefährdungsbeurteilung des fraglichen Arbeitsplatzes zeigen, um zu sehen, wie arbeitgeberseitig präventiv gegen solche Unfälle vorgesorgt wurde. Auch da sieht es anwaltlich betrachtet zuweilen mau aus …

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen produktive Wochen.

Herzlichst, Ihr

 

Thomas Klindt

Noerr LLP
www.noerr.com

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