Kolumne von Michael Lind: Koffer in Beijing

Kolumne von Michael Lind: Koffer in Beijing

Aldo von Pinelli wird es vielleicht verzeihen, dass ich das Reiseutensil aus seinem Liedtext „Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin“ woanders verortet habe. In China leben und arbeiten schätzungsweise 15.000 deutsche Expats im Auftrag ihrer Unternehmen. Wie lange noch?

Michael Lind schreibt seit 30 Jahren für und über die nationale und internationale Roboter- und Automatisierungsbranche. Er war knapp zwei Jahrzehnte lang Chefredakteur (später auch Herausgeber) einer Zeitschrift zu diesen Themen. (Bild: Michael Lind)

Denn in Deutschland kippt – wie auch in anderen Ländern – die einstmals euphorische Stimmung gegenüber China als großem Wirtschaftswunderland. Ein Grund dafür ist sicherlich das offenbar von der Volksrepublik ausgehende Corona-Virus, das der Welt deutlich macht, welch fragiles Gebilde doch eine globalisierte Wirtschaft ist. Und wenn, wie im Mai dieses Jahres geschehen, ein Autobauer aus Niedersachsen seine eben wieder angelaufene Produktion erneut stoppen muss, weil einer seiner Zulieferer in China gefertigte Baugruppen coronabedingt nicht liefern kann, dann stellt sich einmal mehr die Frage nach der Sinnhaftigkeit solchen Tuns und nach der Globalisierung generell.

„Wir müssen dort produzieren, wo unsere Kunden sind.“ So oder ähnlich haben in den letzten 20 Jahren deutsche Unternehmen die Eröffnung von Niederlassungen im Ausland begründet. Etwa 8.000 von ihnen lassen in China fertigen und mussten dafür etliche Kröten schlucken. Da war z.B. das (inzwischen gekippte) Gesetz, dass ausländische Unternehmen Joint Ventures mit chinesischen Firmen eingehen und diesen ‚Partnern‘ ihr Produkt-, Produktions- und F+E-Knowhow unentgeltlich zugänglich machen müssen. Nicht weniger schlimm ist es für humanistisch gebildete Demokraten, die Augen vor den in China geltenden Regularien verschließen zu sollen. Offiziell gibt es dort nämlich keine Korruption, Unterdrückung, Ausbeutung, Umweltkatastrophen, Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, Wirtschafts- und Politspionage, hegemoniale oder wirtschafts- und geopolitisch motovierte Expansions- und Annexionsbestrebungen zum Nachteil anderer Nationen.

Ein völlig anderes Bild zeichnen hingegen die andauernden Streitigkeiten zwischen den USA und dem Reich der Mitte, die von dort gegenüber Großbritannien angedrohten Handelssanktionen, weil der chinesische Kommunikationstechnik-Konzern Huawei beim Ausbau des insularen 5G-Netzes nicht mitmachen darf, die Drohungen gegenüber Kanada, weil dort die Finanzchefin des besagten Konzerns inhaftiert worden ist oder gegenüber Australien, weil dessen Regierung von China umfassende Aufklärung über die Entstehung und Verbreitung des Corona-Virus‘ fordert. Das alles kann man längst nicht mehr als bilaterale Verstimmungen abtun. Es sind eindeutige Fingerzeige, welche Rolle ein totalitäres staatsmonopolistisches System ultrakommunistischer Prägung in der Weltwirtschaft einzunehmen gedenkt.

Und wer, bitteschön, hat China in die Lage dazu versetzt? Es waren all jene Staaten, die ein ursprüngliches Agrarland zur weltweit zweigrößten Industriemacht aufgebaut haben. Und jetzt also, da China diese Position nutzt, um anderen Nationen zu drohen, ist der Aufschrei groß. Besonders deutlich wurde das beim kürzlich vom chinesischen Volkskongress verabschiedeten Sicherheitsgesetz, das vor allem die Demokratiebewegung in der autonomen Sonderverwaltungszone Hongkong trifft. Es zeigt sich auch beim demonstrativen Händchenhalten zweier Despoten: Xi Jingping, dem auf Lebenszeit gewählten Führer Chinas, und Ali Khamenei, dem religiösen und politischen Oberhaupt des Irans. An die Achse China-Nordkorea hat sich die Völkergemeinschaft offenbar mittlerweile gewöhnt. Zähneknirschend.

Der Iran ist ebenso wie Nordkorea einer der Ankerpunkte für die von China geplante neue Seidenstraße, die bis nach Europa reichen soll. Auch die Türkei – ebenfalls ein wirtschaftspolitischer Krisenstaat – ist darin involviert. Und Peking hat sich vor Jahren schon vorsorglich die Umschlagsrechte am größten griechischen Hafen Piräus gesichert. Nun blickt es erwartungsfroh nach Italien, wo sich die momentane Regierung sehr offen zeigt für Investitionen aus China. Klar, wer über seine finanziellen Verhältnisse lebt, braucht Geld. Und das nutzen chinesische Investoren gnadelos aus; wie auch in Deutschland: Biotest, Carl Cloos Schweißtechnik, Daimler, die Reinigungssparte von Dürr, EEW Energy from Waste, Heidelberger Druck, Insta International, Kraus-Maffei, Kuka, Manz, Osram, Putzmeister, Wind MW,… Sie alle gehören – ganz oder teilweise – chinesischen Konzernen.

Otto Normalverbraucher in Deutschland wird’s kaum rühren für wen er arbeitet, solange das Geld von der Bank und der Strom aus der Steckdose kommt. Ich persönlich bin zwar gegen jegliche Marktabschottung, denke aber, dass gegenüber chinesischen Engagements Vorsicht angebracht ist. „Wer mit Hunden schlafen geht muss sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht“, ist ein innerfamiliär vielzitierter Spruch meines Großvaters mütterlicherseits – entlehnt aus Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel ‚Emilia Galotti‘. Politik und Wirtschaft hierzulande wären gut beraten aufzuwachen, bevor es juckt. (mli)

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