Dr. Sven Schmidt-Rohr, CEO von Artiminds Robotics, im Interview

Dr. Sven Schmidt-Rohr, CEO von Artiminds Robotics, im Interview

Hohe Präzision und Fingerspitzengefühl

Der software-getriebene Robotereinsatz bietet viele Möglichkeiten, das Programmieren und Bedienen von Industrierobotern zu vereinfachen. Dr. Sven Schmidt-Rohr, CEO von Artiminds Robotics, erläutert im Interview mit ROBOTIK UND PRODUKTION die Vorteile von Software Defined Robotics und spricht über die Kommunikation zwischen den Komponenten, die in Softwarelösungen eingebunden werden müssen. Er nennt Beispielanwendungen und stellt sich auch der Frage, ob es in diesem Konzept noch Lücken gibt, die es zu schließen gilt.

Unsere Softwareprodukte können genauso für die Mensch/Roboter-Kollaboration wie auch für nicht-kollaborative Anwendungen genutzt werden.Dr. Sven Schmidt-Rohr, Artiminds Robotics (Bild: ArtiMinds Robotics GmbH)

„Unsere Softwareprodukte
können genauso für die
Mensch/Roboter-Kollaboration
wie auch für nicht-kollaborative
Anwendungen genutzt werden.“ Dr. Sven Schmidt-Rohr, Artiminds Robotics (Bild: ArtiMinds Robotics GmbH)

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Aspekte umfasst Ihr Ansatz für das Konzept einer software-getriebenen Robotik?

Dr. Sven Schmidt-Rohr: Gegenwärtige Megatrends in der Produktion erfordern eine immer höhere Flexibilität beim Einsatz von Automatisierungsverfahren. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, muss sich die Automatisierung vom Sondermaschinenbau hin zur Standardhardware entwickeln, die überwiegend durch Software rapide auf Prozessveränderungen oder gar völlig neue Prozesse angepasst werden kann. Ein historisches Vorbild kann hierbei die elektronische Signalverarbeitung bieten, bei der einst für eine Aufgabe fest verdrahtete Schaltkreise dominierten, die heutzutage jedoch überwiegend durch generische Microchips realisiert wird, auf denen Software die Aufgabe ausprägt. Software-defined Radio ist ein erfolgreiches Beispiel in dieser Gruppe. Wir glauben, dass der generische Knickarmroboter in Kombination mit visuellen und taktilen Sensoren die äquivalente Rolle der Microchips in der Produktion einnehmen wird: Es wird zwar weiterhin verschiedene Größen- und Geschwindigkeitsklassen geben, aufwendiger Sondermaschinenbau für jede spezielle Anwendung wird jedoch stark zurückgehen. Der überwiegende Teil der Anpassung wird flexibel, schnell und zum Teil automatisch durch Software vorgenommen. Damit werden auch in Hochlohnländern wieder umfangreiche high-mix, low-volume Produktionen wirtschaftlich, die von einer Personalbasis mit unterschiedlicheren Qualifikationen als bisher betrieben werden können.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wie lässt sich mit Software-defined Robotics das Programmieren und Bedienen von Industrierobotern vereinfachen? Welche Schritte lassen sich standardisieren?

Dr. Schmidt-Rohr: Beim softwaregetriebenen Robotereinsatz für die Produktion wird der gesamte Betreuungszyklus von Roboteranwendungen, also das Planen, Programmieren, Inbetriebnehmen, Optimieren, Instandhalten sowie der anschließende Transfer von Anwendungs-Knowhow, in weitere, ähnliche Anwendungen homogenisiert und viel stärker durch Software unterstützt. Diese Unterstützung nimmt Ingenieuren und Bedienern einen größeren Teil der technischen Details ab, ohne sie in den prinzipiellen Einsatzmöglichkeiten zu beschränken. Beispiele sind die Verwendung vorbereiteter Grundfertigkeiten für sensorbasierte Reflexe, die automatisch die umfangreiche Roboterprogrammlogik erzeugen oder die automatische Berechnung von Programmverbesserungsvorschlägen durch die maschinelle Analyse realer Laufzeitdaten. Die Roboterbetreiber werden dadurch von Detailbastlern zu Prozessarchitekten. Menschliche Übersicht, Prozessverständnis und Kreativität ergänzen sich in diesem Zusammenspiel mit den Rechen-, Gedächtnis- und Detailfähigkeiten der maschinellen Berechnungen in Software. Aus unserer Sicht ist es jedoch wichtig, Maschinenexperten jederzeit auch die tiefsten Eingriffsmöglichkeiten in die technischen Details zu belassen, wenn denn einmal Bedarf und Knowhow dafür vorhanden sind. Andererseits müssen sich Prozessexperten, die keine Maschinenexperten sind, nicht mehr mit den jeweiligen Details belasten.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Komponenten (Sensoren, Maschinen, Roboter) sind in Ihre Softwarelösung eingebunden und wie kommunizieren diese miteinander?

Dr. Schmidt-Rohr: Die wichtigsten Komponenten sind Knickarmroboter, Endeffektorwerkzeuge, Sensoren sowie die Kommunikationssysteme mit der erweiterten Peripherie. Die Roboter koordinieren über ihren Roboter-Controller die Abarbeitung der Logik sowie die Kommunikation mit den Komponenten. Mit unserer Software ArtiMinds Robot Programming Suite (RPS) kann intuitiv ein Programm in der nativen Programmiersprache des jeweiligen Robotercontrollers generiert werden. Dieses Programm enthält alle nötige Logik zur Kommunikation mit Werkzeugen und Sensoren am Roboter sowie der erweiterten Peripherie, wie z.B. einer SPS. Das generierte Programm kann zusätzlich aufgabenspezifische Laufzeitdaten über das Netzwerk versenden. Diese Laufzeitdaten können durch unsere Software wiederum für die Optimierung oder Instandhaltung automatisch ausgewertet werden. Durch die automatische Erzeugung textueller Roboterprogramme vermeiden wir zusätzliche Hardware oder Treiber. Außerdem bleibt es einfach möglich, bestehende Konventionen für die Roboterprogrammierung und -instandhaltung parallel zur Nutzung unserer Softwareprodukte weiterzuverwenden. Roboterprojekte werden hardwareneutral verwaltet – das Programm wird erst am Ende, für die Ausführung passend, für das eingesetzte Robotersystem generiert.

„Der generische Knickarmroboter in Kombination mit visuellen und taktilen Sensoren wird die äquivalente Rolle der
Microchips in der Produktion einnehmen.“ Dr. Sven Schmidt-Rohr, Artiminds Robotics

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Anwendungen sind aus Ihrer Sicht denkbar? Welche Referenzen aus dem Maschinen- und Anlagenbau bzw. aus der produzierenden Industrie gibt es?

Dr. Schmidt-Rohr: Wichtige Anwendungstypen unserer Kunden sind Montage, Oberflächenbearbeitung, Qualitätskontrolle und Handling. Roboter können mittlerweile für viele unterschiedliche Anwendungen eingesetzt werden. Aber besonders spannend aus unserer Sicht sind die, die eine hohe Präzision und Fingerspitzengefühl erfordern. Wie z.B. das Stecken von Kabeln, das Setzen von Plastikstopfen oder -clipsen, die THT-Bestückung, das Überziehen von Textilbezügen, das Auftragen von Dichtmitteln, das Polieren von Oberflächen oder auch das Gravieren, Entgraten und Verschrauben von Bauteilen. Unsere Kunden kommen aus den Branchen Automobil, Bahntechnik, Luftfahrt, Industrie- und Konsumelektronik, allgemeines Industriezubehör, erneuerbare Energien, Haushaltsgeräte, Medizintechnik, Chemie, Mobiliar, Verpackung, Bekleidung und Nahrungsmittel.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Lässt sich Ihre Softwarelösung auch für die Mensch/Roboter-Kollaboration nutzen?

Dr. Schmidt-Rohr: Ja, unsere Softwareprodukte ArtiMinds RPS und LAR können genauso für die Mensch/Roboter-Kollaboration wie auch für nicht-kollaborative Anwendungen genutzt werden. Aus Sicht der Software ist das nur eine Anwendungsgruppe, die einige Randbedingungen im Bereich der Bewegungsparameter einhalten muss. Aufgrund der strengen Sicherheitsregeln für solche Anwendungen haben sich stark physisch kollaborative Anwendungen, also solche mit während der Bewegung gemeinsam genutztem Arbeitsraum, in den letzten Jahren jedoch nur begrenzt verbreitet. Aber egal ob MRK oder nicht: Kräfte überwachen, Prozesse visuell prüfen und sich flexibel an neue Umgebungsbedingungen anpassen zu können, sind Fähigkeiten, die bereits heute in vielen Roboteranwendungen Standard sind und in der Zukunft, gerade mit Blick auf Industrie 4.0, eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Deshalb differenzieren wir mit Blick auf die Anwendung an dieser Stelle nicht.

„In unserem Grundkonzept von Software Defined Robotics gibt es keine Lücken mehr.“ Dr. Sven Schmidt-Rohr, Artiminds Robotics

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Lücken gilt es, in Ihrem Konzept von Software Defined Robotics noch zu schließen?

Dr. Schmidt-Rohr: Im Grundkonzept gibt es keine Lücken mehr. Mit unseren verschiedenen Produkten bieten wir mittlerweile ein hardwareunabhängiges Softwaresystem für den gesamten Lebenszyklus von Roboteranwendungen an. Durch unsere Integration in übergeordnete Fabrikplanungssysteme, wie z.B. in Siemens Process Simulate, sowie Schnittstellen für die Anbindung an SPS-, PC- oder Cloudbasierte Laufzeitmanagementsysteme adressieren wir auch die Einbettung der Roboteranwendungen in eine breiter gefasste softwaregetriebene Produktion. Allerdings fügen wir ständig weitere Funktionen maschineller Intelligenz in unseren Produkten hinzu, die Anwender bei der Entwicklung und im Betrieb von Roboteranwendungen noch ausgefeilter unterstützen. Hier sehen wir noch viele Möglichkeiten auf dem Weg hin zum sich in jeder Situation intelligent selbstkonfigurierenden Robotersystem. Auf absehbare Zeit wird jedoch nicht auf die menschliche Intelligenz von kreativen Prozessarchitekten zu verzichten sein. Diese bilden zusammen mit entsprechender Software starke Mensch/Maschine-Teams, die die flexible Automatisierung auf die nächste Stufe heben.

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: SMW-electronics GmbH
Bild: SMW-electronics GmbH
Kontaktlose Übertragung von Energie und Signalen durch induktive Koppelsysteme von SMW-Electronics

Kontaktlose Übertragung von Energie und Signalen durch induktive Koppelsysteme von SMW-Electronics

Eine wesentliche Rolle auf dem Weg zur digitalen Fabrik spielt smarte Konnektivität. Zur kontaktlosen Übertragung von Energie und Signalen für die Anbindung von Sensoren und Aktoren hat SMW-Electronics induktive Koppelsysteme entwickelt. In den unterschiedlichen Bauformen können sie nicht nur zusätzlichen Nutzen ausspielen, sondern ermöglichen auch ganz neuartige Anwendungen. Endlos rotierende Robotergreifer sind nur ein Beispiel.

Bild: DM-Drogerie Markt
Bild: DM-Drogerie Markt
Kommissionierung von Versandpaletten

Kommissionierung von Versandpaletten

Im Verteilzentrum der Drogeriekette DM in Wustermark bei Berlin sind insgesamt 19 Kuka-Roboter im Einsatz. Sie palettieren, depalettieren und positionieren die Waren vor, die dann vom Verteilzentrum aus ihren Weg in die DM-Filialen finden. Die automatisierten Intralogistiklösungen dort kommen von Swisslog. Das neuartige daran: Um alle Filialen flexibel und individuell mit Waren zu versorgen, kommt ein digitaler Zwilling der Filiale zum Einsatz.