„Zu viel Regulierung kann Rechtsunsicherheit fördern“

Moderne Technologien lassen uns rechtliches Neuland betreten

„Zu viel Regulierung kann Rechtsunsicherheit fördern“

Der fortschreitende Einsatz kollaborativer Roboter in der Industrie, aber auch die zunehmende Verbreitung etwa von Service-Robotik im Consumer-, Pflege- oder Medizinbereich, werfen neue juristische Fragestellungen auf. Und spätestens nach der in den Medien viel beachteten Kollision eines selbstfahrenden Google-Autos mit einem Linienbus zu Beginn diesen Jahres in Kalifornien fragen sich viele Menschen: Wer übernimmt eigentlich die Haftung bei solchen Unfällen? Jens Ferner ist Rechtsanwalt in Alsdorf und bietet in seiner Kanzlei Beratung rund um das Thema Robotik und Robotikrecht. Mit ihm hat sich ROBOTIK UND PRODUKTION unterhalten.

Aus der industriellen Produktion - wie hier im BMW-Werk in Leipzig - sind Roboter heute nicht mehr wegzudenken. (Bilder: BMW AG - Schmied)

Aus der industriellen Produktion – wie hier im BMW-Werk in Leipzig – sind Roboter heute nicht mehr wegzudenken. (Bilder: BMW AG – Schmied)

ROBOTIK UND PRODUKTION: Herr Ferner, Industrieroboter sind weltweit und auch in Deutschland bereits seit Jahrzehnten im Einsatz. Mit dem Aufkommen der kollaborierenden Roboter in Fertigungsbetrieben, aber auch den viel diskutierten und auf breite öffentliche Resonanz stoßende autonomen Fahrzeugen scheint ein ganz neues Rechtsgebiet zu entstehen. Auf welchem Stand sind wir dabei heute aus Ihrer Sicht?

Jens Ferner: Es scheint nicht nur so, es ist ein neues Rechtsgebiet, wobei sich die rechtlichen Fragen vorwiegend schrittweise erst aus der Praxis ergeben – damit erklärt sich auch der Stand: In der Lehre befasst man sich bereits mit Fragen, die sich schon jetzt aufdrängen, in der Praxis wird es vorwiegend auf autonome Kfz konzentriert.

ROBOTIK UND PRODUKTION: An der Universität Würzburg gibt es bereits eine Forschungsstelle RobotRecht, die von Professor Eric Hilgendorf geleitet wird. Tut sich hier auch für Rechtsanwälte ein neues Betätigungsfeld auf?

Ferner: Ja, es ergibt sich – auch schon jetzt – ein neues und durchaus beachtliches Tätigkeitsfeld. Doch man muss ehrlich sein: Wer sich hier als Rechtsanwalt betätigt, tut das derzeit nicht um Umsätze zu generieren, sondern aus Interesse an der Materie. Die tatsächliche Nachfrage in diesem Bereich ist dann doch eher als (derzeit) gering anzusetzen. Gleichwohl ist absehbar, dass schon recht kurzfristig erhebliche Rechtsfragen auftauchen. Rechtsanwälte dürfen hier nicht betriebsblind sein. Neben neuen rechtlichen Fragen in bestehenden Rechtsgebieten, etwa bei der automatisierten Direktion von Arbeitskräften durch autonome Systeme, ergeben sich auch vollständige Änderungen für althergebrachtes, man denke nur an die Unfallabwicklung bei autonomen Kfz. Hier ist langfristig durchaus mit einem vollständigen rechtlichen Umbruch zu rechnen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Was sind gegenwärtig bei Ihrer anwaltlichen Tätigkeit die häufigsten Fälle?

Ferner: Eindeutig im vertragsrechtlichen Bereich: Zum einen bei der vertraglichen Gestaltung im Bereich der Steuerungssoftware, insbesondere bei den üblichen IT-rechtlichen Fragestellungen oder wenn fremde Komponenten verwendet werden sollen, wie etwa Open Source. Daneben dann im Bereich der Haftung, die schon im Rahmen der Beschaffung von Hard- & Software vorab geklärt sein soll. Es geht also aktuell vorwiegend um die hinlänglich bekannten vertragsrechtlichen Fragestellungen des IT-Rechts im Rahmen der Beschaffung. Ein aktueller Fall zeigt aber auch, dass sich dies langsam ändern könnte: So ist nun die Frage aufgekommen, ob und in welchem Rahmen es rechtlich ist, durch sog. Wearables Daten über Arbeitnehmer (etwa in der Logistik oder im produzierenden Gewerbe) fortlaufend zu erfassen, die automatisch ausgewertet werden, wobei dann auf Basis dieser Datensammlungen durch eine Software zur Leistungsoptimierung Anweisungen automatisiert gegeben werden. An dieser Konstellation zeigt sich, wie schon heute darüber nachgedacht wird, durch automatisierte Systeme, angesetzt unmittelbar in der Hierarchie des Arbeitgebers, direkte Arbeitsanweisungen erteilen zu lassen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Im Bereich der Normen und Standardisierung unterscheidet das ISO TC 184/SC 2 Komitee verschiedene Robotikbereiche, nämlich Roboter für den industriellen Einsatz, den nicht-medizinischen Pflegebereich, die Medizintechnik sowie ganz allgemein für Service-Einsätze. Muss es Ihrer Ansicht nach in der Rechtsprechung ähnlich diversifizierte oder gar noch weiter verzweigte Kategorisierungen geben?

Ferner: Jein. Unser Rechtssystem löst solche Probleme mit beachtlichem Erfolg durch ein abgestuftes, nicht starres, Haftungskonzept. Dadurch, dass es die Möglichkeiten des Vorsatzes, der groben Fahrlässigkeit und ‚einfachen‘ Fahrlässigkeit gibt, kann hier – übrigens unter Berücksichtigung von ISO-Normen – in jedem Fall einzeln entschieden werden, ob und falls ja in welchem Umfang eine Haftung erfolgt. Hinzu kommen vertragliche Möglichkeiten eine Haftung zwar faktisch nicht ausschließen, aber wiederum abgestuft beschränken zu können. Damit ergibt sich mit dem bewährten rechtlichen Rahmen, über den wir verfügen, die Möglichkeit, praxisnahe rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen für den jeweiligen Einsatzbereich.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Bringt eine fortschreitende Ausgestaltung der Normen und Standards automatisch auch mehr Rechtssicherheit mit sich?

Ferner: Das ist eine mehr philosophische, wenn auch natürlich berechtigte Frage. Ich glaube, zu viel Regulierung fördert nicht die Rechtssicherheit, hindert Innovation und schafft ab einem bestimmten Punkt sogar Rechtsunsicherheit. Dies etwa dann, wenn eine solche Überregulation entstanden ist, dass man mit einem nicht mehr zumutbaren Mehraufwand, der einem Selbstzweck gleicht, Arbeit aufbringen muss, nur um noch Regeln zu genügen. Der häufig zu beobachtende Effekt ist dann, dass in eigener Wahrnehmung abgestuft wird, welche Regeln sinnvoll sind und welche man ignorieren können will.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Markus Rohwetter skizziert im Februar diesen Jahres in Ausgabe 7 von DIE ZEIT drei Möglichkeiten, wie Robotikrecht ausgestaltet werden könnte: Variante 1 wäre, Schäden durch Roboter als Naturereignis oder allgemeines Lebensrisiko anzusehen. Als zweite Möglichkeit sieht er, die Risiken auf die Nutzer zu übertragen. Die dritte Variante übertrüge die Haftung auf die Roboterhersteller. Wie sieht für Sie ein gangbarer Weg zu mehr Rechtssicherheit aus?

Ferner: In den Szenarien sehe ich keine sich ausschließenden Möglichkeiten: Hersteller autonomer Systeme haften in Grenzen im Rahmen des Produkthaftungsrechts, hierbei dürfte es auch in der Zukunft verbleiben. Ein fehlerhaft arbeitendes System, das auf Grund schlechter Produktion fehlerhaft arbeitet, ist auch kein Naturereignis – andererseits, wenn etwas tatsächlich auf Grund von Zufälligkeiten schief geht, darf man nicht den Fehler machen und zwingend, weil man einen Verantwortlichen sucht, dann ‚irgendeinen‘ in die Haftung nehmen. Zu guter Letzt wäre es dann auch nicht Aufgabe des Nutzers schlechthin, sämtliche Risiken zu tragen. Wohl aber muss sich der Nutzer vermeidbare Bedienfehler ebenso wie mangelndes Erlernen der systemgerechten Benutzung vorhalten lassen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Denkt man die eben zitierte dritte Variante weiter, muss man da nicht sich endlos hinziehende Rechtsstreitigkeiten befürchten, um zum Beispiel technische Mängel bei Schadensfällen nachzuweisen, die in Zukunft zwei oder mehr Robotiksysteme betreffen können?

Ferner: Wie ich gerade schon dargestellt habe, sehe ich diese uferlose Haftung nicht. Das Produkthaftungsrecht existiert bereits seit Jahrzehnten, ohne zu derartigen Prozessen (in unserem Rechtsraum) zu führen. Ich denke schon, dass im Zuge autonomer Systeme das hergebrachte Produkthaftungsrecht eine neue Blüte erleben dürfte und auch Reformbedarf entwickeln wird, Schreckensszenarien sehe ich aber nicht.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Gibt es neben den Fragen zur Schadenshaftung andere wichtige Rechtsaspekte, die es im Hinblick auf die Robotik zu beachten gilt?

Ferner: Das Haftungsrecht ist aktuell der Fokus, auch weil sich hier immer philosophisch die Frage mit aufdrängt, wie wir damit umgehen wollen, Verantwortung und Risiken auf autonom arbeitende Systeme zu übertragen. Doch es gibt eine Vielzahl weiterer Probleme, die erhebliche Fragen aufwerfen: Zu denken ist zum einen an mein Beispiel aus der Praxis mit Arbeitnehmern, die von autonomen Systemen delegiert werden, hier tritt dann ggf. Noch der datenschutzrechtliche Aspekt der Sammlung von Daten über den Arbeitnehmer auf. Aber um es weiter zu denken: Nehmen wir an, wir haben autonom arbeitende Systeme in der Produktion oder IT-Sicherheit, die selbstständig Arbeitsabläufe verbessern und Probleme beseitigen, hierbei Datenbanken anhäufen mit Informationen, die für die Industrie insgesamt wertvoll sind: Welchem Schutz sollen diese Daten unterfallen, wer soll hier die Rechte haben? Sicherlich nicht der Hersteller, aber ein Urheberrecht setzt beispielsweise die menschliche schöpferische Leistung voraus, das bisher existierende Arbeitnehmerurheberrecht hilft also nicht weiter. Gerade den Bereich der ‚Wissensschöpfung‘ durch autonome Systeme sehe ich als derzeit unterschätzten und relevanten Themenbereich an.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Ein ganz anderer Aspekt: Mit Blick auf die Übernahme von menschlichen Tätigkeiten durch Roboter im Industrieumfeld hat Professor Eric Hilgendorf kürzlich angeregt, die Erträge solch maschineller Arbeit höher zu besteuern, da erhebliche Einbußen bei der Einkommensteuer drohten. Eine lohnenswerte Anregung?

Ferner: Eine gesellschaftspolitische Anregung, über die man nachdenken kann, zum einen wegen eventueller steuerlicher Umsatzeinbrüche, aber auch um einer möglichen Entwertung des menschlichen Arbeitnehmers entgegen zu steuern. Allerdings ist die Frage auch sehr vereinfacht gestellt, denn in komplexen gesellschaftlichen Strukturen wie der unsrigen ist auch zu fragen, welche weiteren Effekte vereinfachte und vergünstigte Produktion insgesamt hat und ob hier ausgleichende Phänomene auftreten können. Hinzu kommt die Frage, wie sich der Arbeitsmarkt im Bereich Entwicklung, Produktion, Wartung und Pflege autonomer Systeme entwickelt. Letztlich wäre auch hier dann zu sehen, dass man durch – vielleicht gut gemeinte – neue Kostenfaktoren Innovation und auch gesellschaftliche Entwicklung durchaus behindern und bremsen kann.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Angesichts solcher Mega-Trends wie der fortschreitenden Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz, Big Data und der damit verbundenen Cyber-Sicherheit oder dem Internet der Dinge: Kann die Rechtsprechung mit der technologischen Wirklichkeit überhaupt noch Schritt halten, oder droht sie abgehängt zu werden und einen rechtsfreien Raum zu hinterlassen?

Ferner: Dieses Risiko sehe ich gar nicht. Auch wenn man es kaum glauben mag: Unser Rechtssystem mit seinem über 100 Jahre alten Herz des Bürgerlichen Gesetzbuches ist zwar in die Jahre gekommen, aber äußerst flexibel und anpassungsfähig. Meine Sorge wäre vielmehr eine Zersplitterung des Rechts und Überregulation, die zu der vorhin beschriebenen Konsequenz führt, dass Investitionen behindert werden oder eben durch ein ‚zu Viel‘ an Gesetzen ein gewisses Desinteresse entsteht. Sicherlich wird es – wie im IT-Recht oft zu beobachten – eine gewisse Übergangsphase geben, in der die Rechtsprechung sich der Lebenswirklichkeit annähern muss, die sich ja auch noch im Fluss befindet. Insgesamt aber sehe ich weder die Gefahr rechtsfreier Räume noch unlösbarer Haftungsfragen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Vielen Dank für das Gespräch.

Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf

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